Petrochemische und mineralische Baustoffe werden derzeit in großen Mengen eingesetzt, obwohl aktuell kaum sinnvolle Konzepte für eine stoffliche Verwertung nach Ende der Nutzungszeit eines Gebäudes existieren. Beim Abriss eines Gebäudes entsteht somit Bauschutt, der aufwändig entsorgt werden muss. Die bei der Herstellung der Baustoffe genutzten mineralischen und fossilen Ressourcen sind praktisch unwiederbringlich verbraucht. Außerdem werden bei der Erzeugung von zementären Baustoffen und bei der Verbrennung von petrochemischen Baustoffen gewaltige Mengen an vormals gebundenem CO2 freigesetzt.
Baustoffe aus Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen haben demgegenüber immense Vorteile. Hier ist es möglich, einen nachhaltigen Rohstoff- und CO2-Kreislauf zu etablieren. Bei der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen wird der Atmosphäre CO2 entnommen und in den Baustoffen gebunden. Nach Ablauf der Nutzungszeit eines Gebäudes können die Baustoffe als Rohstoff für weitere Produkte wie Konsumartikel verwendet werden. Am Ende einer langen und stufenförmigen Wertstoffkette (Kaskadennutzung) können die Materialien schließlich verbrannt und somit zur Energieerzeugung eingesetzt werden (thermische Verwertung). Über die gesamte Nutzungsphase wachsen neue Rohstoffe nach – im Idealfall mehr, als für die Produkte genutzt werden.
Es gibt vielfältige Möglichkeiten für eine Kaskadennutzung von Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, die bisher noch lange nicht ausgeschöpft sind. Außerdem eignen sich Baustoffe insbesondere auch zur Nutzung von pflanzlichen Abfallprodukten, die bisher oftmals lediglich thermisch oder in Form von Kompost verwertet werden.
In diesem Projekt werden wir drei unterschiedliche Dämmungen aus nachwachsenden Rohstoffen für den chilenischen Markt entwickeln, welche die typischen Einbauarten im Wohnungsbau abdecken:
- Druckfeste Dämmplatte (Beispiele: Außenwanddämmung im Wärmedämmverbundsystem, Kellerdeckendämmung, Aufsparrendämmung)
- Flexible Dämmmatte (Beispiele: Zwischensparrendämmung, Geschossdeckendämmung, Dämmung von hinterlüfteten Fassaden)
- Einblasdämmung (zur Dämmung von konstruktiven Hohlräumen)
Das Besondere: Wir werden alle drei Dämmmaterialien so konzipieren, dass sie aus pflanzlichen Abfällen hergestellt werden können, die in der chilenischen Land-, Forst- oder Holzwirtschaft anfallen. Die Forstwirtschaft in Chile ist nach dem Bergbau der zweitgrößte Exportbereich. Das liegt nicht zuletzt an den riesigen Monokulturen exotischer Pflanzen wie Kiefer und Eukalyptus, für die seit den 1970er-Jahren große Naturwaldflächen gerodet wurden. Bis heute sind etwa 2,3 Millionen Hektar Schnellwuchsplantagen in Chile anzufinden (17 Prozent der gesamten Waldfläche). Probleme wie Bodenerosionen, fehlende Biodiversität und ein Ungleichgewicht des Ökosystems führen zur einer Rückorientierung auf die natürlichen Ressourcen des Landes.
Mit unserem Projekt eröffnen wir Möglichkeiten, speziell einheimische Holzarten und landwirtschaftliche Reststoffe zu nutzen. So tragen wir zur Renaturierung und nachhaltigen Waldbewirtschaftung in Chile bei. Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sind in Chile bisher weitestgehend unbekannt. Der bevorzugte Dämmstoff ist dort expandiertes Polystyrol, also ein erdölbasiertes Produkt. Unser Projekt dient somit auch dazu, den Anteil von nachwachsenden Rohstoffen im chilenischen Bauwesen zu erhöhen und somit die Umweltbilanz zu verbessern.
Übergeordnetes Ziel ist die Entwicklung eines Holzelementes, das vollständig aus einheimischen, nachwachsenden Rohstoffen besteht und den hohen qualitativen Ansprüchen genügt. Durch die verschärfte Erdbebensituation gibt es in Chile besondere Anforderungen an die Statik von Gebäuden. Auch zum Schall- und Brandschutz gibt es Normen, die eingehalten werden müssen. Die energetische Betrachtung von Wohngebäuden ist bislang zwar noch kein zwingendes Kriterium in Chile, sodass noch wenige Gebäude energetisch ertüchtigt sind. Durch die Agenda 2030 und die Sensibilisierung für nachhaltiges und energieeffizientes Bauen werden allerdings im Neubau bereits häufig Wärmedämmungen verbaut.
Rest- oder Abfallstoffe von Agrarpflanzen werden beim Wohnungsbau bisher vor allem als Einblasdämmstoff eingesetzt. Unser Ansatz ist es, die Rest- und Abfallstoffe auch als Materialgemische zur Verbesserung der bauphysikalischen Eigenschaften von Platten- oder Mattenwerkstoffen oder als eigenständige Werkstoffe einzusetzen. Damit lassen sich nicht nur CO2-Einsparungen erzielen, sondern voraussichtlich auch die Baukosten für nachhaltige Gebäude senken. Mit der Optimierung von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen können sich außerdem neue Wirtschaftszweige in Chile ergeben.